Kritisches

Glaube

Der „moderne Christ“ – er relativiert so manches.
Glaube – mein Glaube.
 
Die eigene Erkenntnis erkennen und die eigenen Grenzen der Erkenntnis erkennen und hieran arbeiten, das ist Glaube. Den Begriff Gott kann man unterbringen für das, worüber man staunen kann.
Aus der Ecke des Existenzialismus kommt der Spruch, welcher eine kritische Einstellung am besten wiedergibt:
"Für Gott ist es am besten, dass man nicht an ihn glaubt.“
Gott nicht als Vaterfigur, Gott nicht als Herrscher über die Moral, Gott nicht als wohlfeile Projektion meiner eigenen Wünsche – eben nicht der „personalisierte“ Gott.
 
Die Physik und Mathematik tragen hierzu nichts bei. Die Bibel trägt hierzu nichts bei.
 
Erstens: die Abgrenzung zu den Naturwissenschaften:
Das, worüber man staunen kann resultiert aus dem Teilgebiet der Philosophie/Theologie nämlich der Ontologie. Zur Ontologie kann man den (selbsternannten) Chefontologen Heidegger (ansonsten kann man Heideggers Aussagen wohl weniger gebrauchen) anführen: es gibt das Sein und das Seiende. Also: das Seiende ist alles, was wir erkennen, nicht nur die Materie, alles was physikalisch beschrieben wird und auch unsere eigene Erkenntnis, alles was mathematisch beschrieben wird zum Beispiel auch die Logik, auch unsere Kultur. Und was steht über dem Seienden? Es ist das, warum es das Seiende gibt, eben das Sein. Und es folgt dann die Überlegung, dass es doch viel wahrscheinlicher wäre, dass es das Sein nicht gäbe, eben dass es nichts gäbe. Dieses lässt uns staunen, das metaphysische Staunen. Manche Philosophen nennen es auch „Schrecken“, ich finde dieses Wort allerdings wenig passend. Alles(!) andere ist menschliche Erkenntnis, menschliche Wahrnehmung. Mit den für uns existierenden Dingen und unserem Erleben kommen wir hier nicht weiter. Egal, ob hier physikalisch das Vakuum beschrieben wird (welches dennoch einen Energiegehalt hat) mit Quantenfluktuationen, ob Überlegungen zur Zeit, dem Raumzeitkontinuum, über Ereignishorizonte, Singularitäten, angestellt werden, oder, ob wir ins Grübeln kommen, wenn die Teilchenphysik den Mikrokosmos mit den Elementarteilchen erklärt und die letzten Kommastellen immer noch nicht stimmig sind. Oder wenn es unzählige Multiversen gibt, unzählige, solange, bis die Feinabstimmung passt, oder ob es der Physik gelingt, den Begriff der Information ganz allgemein zu formulieren (Anmerkung: in diese Veranschaulichung von „Information“ spielt dann doch die menschliche Vorstellung von Zeit und Zufall hinein).
 
Wir können allerdings hieraus etwas lernen, nämlich, dass unsere Erkenntnis begrenzt ist, dass wir nicht richtig fragen können und deshalb nicht vorankommen. Unsere Natur ist nicht schön, nicht logisch, nicht hierarchisch, sie ist (sagt Sabine Hossenfelder) hässlich. Sie passt nicht zu unserem Harmoniebedürfnis. Wir sind eben Wesen aus dem Mesokosmos und nicht in der Lage den Mikro- und Makrokosmos gedanklich zu erfassen.
 
Und in der Mathematik geht es uns ähnlich. Zwar kann man hier Konstrukte aufstellen, welche weit über die uns gegebene Anschauung hinausgehen und man kann über Logik philosophieren, letztlich muss man jedoch erkennen, dass man sich „immer“ in bestimmten Systemen befindet und dass in diesen Systemen Selbstreferenzialität (Gödel) herrscht. D.h., wir bewegen uns im Kreis und haben Probleme, die nur verdeutlichen können, dass wir uns in Kreisprozessen befinden. (Schon Kinder nerven ihre Eltern, wenn sie sie fragen, warum es „verboten“ ist, eine natürliche Zahl durch null zu teilen, oder wenn es darum geht, festzustellen, ob der Satz "ich lüge" richtig oder falsch ist).
In meiner Vorstellung, verkürzt ausgedrückt: die Kultur- und Naturwissenschaften beschäftigen sich mit dem Etwas, der Glaube handelt vom Nichts.
 
Man muss konzidieren, dass diese weltanschaulichen Überlegungen beispielhaft sind. Will sagen, ein Licht auf menschliche Erkenntnis werfen.
Die Befunde sind lehrreich, sie sind demütigend: erstens: dass sich unsere Welt nicht erklären lässt, dass in der Physik ein gelöstes Problem zwangsläufig neue Fragen aufwirft (wie bei den Armen der Hydra), und zweitens, dass auch der verlängerte Arm unserer Vorstellung, nämlich die Mathematik, mit ihrer Logik an Grenzen stößt und drittens, dass die Tatsache, dass wir nicht weiterkommen wohl daran liegen könnte, dass wir ständig die falschen Fragen stellen.
 
Warum die Bibel nicht beiträgt. Die Bibel, mit dem über sie vermittelten Bild eines personalisierten Gottes. Gott mit väterlich-menschlichen und "pseudomenschlichen" Eigenschaften: All-Macht, All-Wissen, Opfergedanken und Opferkult (Abraham; der eigene Sohn Jesus wird getötet), Eifersucht, auch Fürsorge, Hilfsbereitschaft, Liebe. Und im Neuen Testament Jesus: idealisierend, ausgesprochene Opferbereitschaft, atheistische Gedanken ("mein Gott, mein Gott warum hast du mich verlassen") Terrorgedanken („doch meine Feinde, die nicht wollten, dass ich ihr König werde, bringt her und macht sie vor mir nieder“). Geschichten, als Offenbarung bezeichnet. Jesus, manipulativ, mit Drohungen arbeitend, Wunder wirkend, um die manipulative Kraft zu verstärken. Ein narrativ-beeindruckendes Meisterwerk gegen Heuchelei, Halbherzigkeit, für Bekenntnis, Mut, Todesmut, rundherum ein "Hauptwerk" des Idealisierens (Idealismus im weitesten Sinne). Widersprüchliche Aussagen, welche unmittelbar die Gedanken der Theodizee auf den Plan rufen. (Anmerkung über den Idealismus - welcher hier ansonsten nicht weiter behandelt werden soll: Man muss nur das so oft tradierte Wort Liebe durch das Wort Kraft oder Überlegenheit ersetzen, und schon landet man bei faschistischem Gedankengut.)
 
Angesichts dieser Eigenschaften und Implikationen kommt man denn auch auf den Gedanken, das gesamte Werk als Mythologie (Erzählung mit sehr „schillerndem“ Wahrheitsanspruch) zu betrachten (Bultmann). Es bedarf eigentlich nicht mehr der zusätzlichen psychologischen Argumentationsweise, i.e. der Betrachtung als pure (psychodynamische) Projektion (Feuerbach, Marx, Schopenhauer, Nietzsche(?),…Psychologie allgemein. Ich will nicht suggerieren, dass ich hier (auch s.o.) viel Originalliteratur gelesen hätte – eher ist es ein „Verstehen“ anhand von Sekundärliteratur), um die Relevanz des Werkes, nämlich die individuelle Bedeutung für den „autonom (s.u.)“ denkenden Menschen in Frage zu stellen. Oder sogar alles für "kontraproduktiv" zu erklären. Wenn dieses Werk dann auch noch eine Offenbarung Gottes sein soll, dann ist es in Verbindung mit der entsprechenden Skepsis die allerbeste Einladung zum Atheismus. (Anders ausgedrückt: es kommt einer „sportlichen Übung“ gleich, unter diesen Bedingungen dann noch zu glauben.)
 
Weitere Nachteile/Inhumanitäten: durch die Personalisierung der Gottesvorstellung geht u.U. die Möglichkeit zum transzendenten Denken verloren. Die Herausforderung, welche in der "Schwarz-Weiß-Schilderung" liegt (Jesus, Neues Testament), nämlich glauben oder nicht glauben, führt zur Spaltung der Menschengruppen (Anmerkung: ganz ähnlich wie heutzutage die Mechanismen des Populismus: z.B.: „Lügenpresse“: ja oder nein.).
 
Wenn man dann den Wahrheitsanspruch aufgibt und die Bibel als Mythos ansieht, ist dies ein Paradigmenwechsel innerhalb des Christentums! Man könnte die Aussage noch erweitern:
Wenn wir die Bibel als Mythos verstehen, können wir auch formulieren, dass sie als „Negativbeispiel“ zu verstehen ist. Nämlich, dass hier sehr eindrucksvoll steht, wie man es nicht machen sollte. – Hier müsste jetzt ein Kapitel über Moral und Ethik folgen, dies würde den Rahmen aber sprengen.
 
Anmerkung: Wahrscheinlich ist die Herausforderung, ich meine das Erzwingen einer Entscheidung – Glaube oder Nicht-Glaube - bei den monotheistischen abrahamitischen Religionen besonders groß. Es resultiert ein unsägliches Spannungsverhältnis, welches unzählige Regalmeter Literatur zur Folge hat, auch Glaubenskriege, Konfessionalismus. Man könnte meinen, der Buddhismus mit seiner atheistischen Prägung und mit seinen mentalen Übungen hat es hier leichter. Auch der Hinduismus mit zwar recht konkreten Verhaltensanweisungen (Dharma) aber auch einem Polytheismus, welcher weniger Nähe zu den einzelnen Gottesvorstellungen bzw. weniger umfassende Projektionen bedeutet, könnte hier flexibler sein.
 
 
(Meine) praktischen Konsequenzen
 
Aber der Mythos wirkt! So stark, dass ich mir kaum vorstellen kann, in einem nicht-christlichen Kulturkreis zu leben und leben zu wollen. Sogar für Menschen, die vermeintlich gegen alles opponieren, gilt: Auch wer gegen den Strom schwimmt, befindet sich im Strom.
 
Wenn von den praktischen Konsequenzen die Rede ist, dann möchte ich hier zur Einleitung meine (eigene, von mir so geliebte) Vorstellung von den „Denkräumen“ erläutern. - Es ist im Grunde banal - mit etwas anderen – vielleicht weniger anschaulichen - Vokabeln ist überall davon die Rede.
 
Wir denken in Denkräumen. Man hat sie sich vorzustellen als Themenkreise, als innere Diskurse, mit welchen wir versuchen, bestimmte Gedächtnisinhalte (Erlebnisse, Wahrnehmungen, Themen, Fragen) abzuhandeln. Es gibt viele von diesen Räumen, vor allem deshalb, weil sich jedes Thema auf verschiedenen Ebenen - auch hierarchisch gegliederten Abstraktions-Niveaus - behandeln lässt. Die Grenzen der Denkräume sind Mauern, sie kommen dadurch zustande, dass wir auf Abstoßendes treffen, insbesondere ist es Unbekanntes/Angst. Die Wände signalisieren Neuland, Unsicherheit. Wir vermeiden dann, weiter in diese Richtung zu denken, ich, bzw. meine Gedanken ziehen es vor, sich wieder von dieser Wand weg zu bewegen, in eine andere Richtung zu assoziieren. Diese Räume haben bei jedem Menschen eine unterschiedliche Größe, je nach Informationsgrad des Individuums (man könnte hier auch einsetzen „Bildung/Reflexionsfähigkeit). Große Räume heißt, ich kann eine große Zahl von Überlegungen in mein Thema einbeziehen, angstfrei. Im optimalen Fall, größter Räume, bin ich in der Lage, universell denkend und relativ angstfrei zu existieren.
Manche Assoziationen/Gedanken führen in Nachbarräume. Optimal wäre es, wenn alle Räume so groß wären, dass sie unmittelbar aneinander Grenzen. Dann könnte ich bequem durch eine simple Tür in den Nachbarraum gelangen. Wenn aber nur kleine Räume vorhanden sind, dann ist hier die unmittelbare Nachbarschaft nicht gegeben (Cheops-Pyramide). Ich muss, um in einen weiteren Raum zu gelangen (also z.B. um dasselbe Thema auf einer anderen Ebene abzuhandeln), eine bestimmte Strecke zurücklegen und dies über kleine Räume oder Gänge, es herrscht Enge, weil ich mich unsicher fühle, es handelt sich um ein relativ unbekanntes Terrain. Hier in diesem Gang befinden sich die unangenehmen Mauern ganz in meiner Nähe.
Das heißt, das Nichtwissen ist gepaart mit Angst!
Und nun die wichtige Überlegung: wenn ich es mit neuem, bedrohlichen Gelände zu tun habe, dann bin ich für einen Führer dankbar. D.h. ich wünsche mir von irgendwoher die Informationen und Assoziationen, die z.B. in den nächsten großen Raum führen. (Siehe ggf. auch meinen Aufsatz über Populismus.)
 
Wenn schließlich ein Führer zur Verfügung steht, dann ist die Eigenschaft dieses Führers ist von höchster Brisanz, weil er eine Lenkungs- und Deutungshoheit bekommt.
Der Führer kann breite Wege aufzeigen, große Räume schaffen. Er kann aber auch Wege verengen, d.h. mit noch mehr Angst verknüpfen, oder auch den Menschen immer wieder in einen Raum führen, so dass dieser Raum bekannt und hell erscheint, ohne dass er größer geworden ist.
 
Und dieser Führer kann eine Heilslehre sein, sie hat, wenn sie beim Individuum willkommen ist, einen unmittelbaren Zugang zu seinen Gedanken. Es kann eine Art Fernsteuerbarkeit des Menschen resultieren.
Meine Konsequenz:
Man kann aber über eine Heilslehre auch reflektieren; und in der Reflexion dabei gewinnen, d.h. wenn man sich nicht den eigenen Willen und die eigene Neugier nehmen lässt. Ich behaupte: Jeder Mensch hat grundsätzlich die Fähigkeit zum selbstbestimmten Leben. Man hat überdies einen angeborenen Optimismus, eine Zuversicht. Mit dieser Zuversicht und der ebenfalls gegebenen Lernfähigkeit kann die Emanzipation des Menschen gelingen.
 
 
Und ich persönlich? Im Gottesdienst, in der Kirche?
 
Ich höre z.B. den Pastor sprechen und wenn er sich zu sehr an die Schrift hält, dann hoffe ich, dass er irgendwann lernen wird, freier zu denken.
Beten: der Text der Gebete ist für mich häufig abwegig, ich spreche dann den Text nicht mit - aber es ist die Zeit in mich zu hören, zu meditieren über Existenz und Sinn - und das ist nicht gerade wenig.
Und Singen: Musik bedeutet für mich: Zuversicht.
 
 
Gereon Walther
 
 
 
» zurück